Parbuckling Operation abgeschlossen - erster Teil der Costa Bergung erfolgreich!
21.09.2013 News Archive
Parbuckling Operation abgeschlossen – erster Teil der Costa Bergung erfolgreich!
Der erste Teil der Bergung des Kreuzfahrtschiffes Costa Concordia ist den Bergungsexperten vor der italienischen Insel Giglio gelungen. Dank Berechnungen nach dem Vorbild von Crash-Simulationen aus der Automobilindustrie konnten die Ingenieure die Belastungen für den Schiffsrumpf zuverlässig vorhersagen.
Der erste große Schritt zur Bergung des havarierten Kreuzfahrtschiffes „Costa Concordia“ war „eine Sternstunde der Ingenieurkunst“. So lobt der Schiffbau-Experte Prof. StefanKrüger von der Technischen Universität Hamburg-Harburg die Arbeit des internationalen Bergungsteams, das am Montag in einem 19-stündigen Balance- und Kraftakt den 290 m langen Luxusliner um 65 Grad in eine aufrechte Position gedreht hat. Das erst sieben Jahre alte Schiff war Mitte Januar 2012 vor der italienischen Insel Giglio auf einen Felsen gelaufen und gekentert. Dabei starben 32 der rund 4200 Menschen an Bord. Im kommenden Frühjahr soll der Havarist schwimmfähig gemacht und zum Abwracken in einen Hafen geschleppt werden.
Den Erfolg des Projektes mit dem Namen Parbuckling hat das amerikanisch-italienische Bergungskonsortium Titan/Micoperi auch einem Hamburger Ingenieurbüro zu verdanken. In monatelangen Berechnungen erstellten die Experten der Overdick GmbH & Co. KG ein Modell über die möglichen Schäden, die die Struktur des Kreuzfahrtschiffes durch das Kentern und den Aufprall auf die Unterwasserfelsen genommen hat. „Letztlich ging es dabei um die Frage, ob der Rumpf den Kräften bei der geplanten Drehung standhalten oder zerbrechen würde“, erläutert Klaas Oltmann, einer der drei Overdick- Geschäftsführer. Weil es so gut wie keine Fakten, Beobachtungen und Vermessungen über den tatsächlichen Zustand des Rumpfes gab, gingen die Hamburger einen anderen Weg: „Wir haben uns einer Software bedient, mit der in der Automobilindustrie Crashtests simuliert werden“, berichtet Oltmann.
Das Berechnungsverfahren lieferte die mathematischen Grundlagen für eine Hebe-Methode, mit deren Hilfe amerikanische Hafenarbeiter bereits im 19. Jahrhundert Fässer die Kaimauer hinaufzogen. Sie befestigten Seile mit beiden Enden an der Kaikante,führten die so entstandene Schlinge (amerikanisch: parbuckle) unter dem Fass hindurch und zogen die Schlinge nach oben – wie von Geisterhand bewegt, drehte sich das Fass um die eigene Achse und rollte die Kaimauer hinauf. Das sogenannte Parbuckling wurde zwar schon mehrfach zum Drehen von gekenterten Schiffen, aber noch nie bei einem Havaristen von der Größenordnung der Costa Concordia angewandt. „Wir reden hier nicht nur über das Gewicht des Schiffes von rund 50 000 t, sondern auch noch über vielleicht 60 000 t Wasser in seinem Inneren“, sagt Krüger, der mit gewissem Stolz und vor allem Respekt verfolgte, was seine ehemaligen Studenten an der Technischen Universität Hamburg-Harburg zu dem Bergungsprojekt beitrugen. Die Alternative zum Aufrichten wäre gewesen, das Wrack an Ort und Stelle zu zerlegen. Doch wegen der möglichen Gefahren für die Umwelt und wohl auch aus Image- und Prestigegründen kam für die Reederei Costa Crociere nur in Frage, ihr einstiges Flaggschiff im Ganzen vom Ort des Desasters zu entfernen. Rund 600 Mio. € kostete die Bergung bislang, ein großer Teil der Summe floss in das „Parbuckling- Project“. Kurz zusammengefasst erscheint das Projekt einfach, doch die Realisierung war mit unzähligen kaum kalkulierbaren Risiken verbunden und nahm Monate sowie den Rund-um-die-Uhr-Einsatz eines 500-köpfigen Teams in Anspruch. Der Chef dieses Teams, der Südafrikaner Nick Sloane, ließ 22 jeweils 58 m lange und 26 t schwere Ketten unter dem Wrack hindurchziehen. Auf der Landseite des Wracks wurden die Ketten an eigens in den Meeresgrund gebohrten Stahltürmen angeschlagen und auf der Seeseite fest mit dem Schiff verbunden. Auf dieser Seite brachten die Spezialisten zudem elf Auftriebskörper von der Größe sieben- bis elfgeschossiger Gebäude an, während sie unter dem Schiff eine Stahlplattform – größer als ein Fußballfeld – errichteten. Von der Außenkante dieser Plattform zogen sie Stahlseile zur Oberkante der Auftriebskörper und dort installierten Litzenhebern.
Das Prinzip: Durch Zug der Litzenheber rotiert der Rumpf langsam um seine Längsachse, während ihn das Kettensystem vor einem Abrutschen in die Tiefe bewahrt. Nach einer Drehung um 20 Grad läuft langsam Meerwasser in die Auftriebskörper und unterstützt den Aufrichtprozess so lange, bis der Rumpf die erforderliche 65 Grad-Drehung erreicht und sicher auf der Plattform ruht. So weit die Theorie. Als die 48 Litzenheber mit einer Gesamtzugkraft von rund 15 000 t zunächst behutsam mit 400 t Zug begannen, die Stahlseile zu spannen, hielten auch die Overdick-Ingenieure vor Ort die Luft an. Selbst ohne derart schwere Strukturschäden wie an der Costa Concordia sind Kreuzfahrtschiffe nicht gerade die idealen Objekte fürs „Parbuckling“ – sie sind aus verhältnismäßig dünnen Blechen gebaut. „Wir hätten das Verfahren auch lieber an einem stabilen Erzfrachter mit richtig kräftigen Strukturen angewandt“, meint Oltmann. Doch als sich das Wrack bei einer Zugkraft von 5000 t bis 6000 t zu drehen begann, ließ die Spannung langsam nach: Nach den ersten zehn bis 15 Grad der Drehung waren wir uns sicher, dass es klappt“, erinnert sich Oltmann. Wie gut die Arbeit der Hamburger wirklich war, wurde jedoch erst Stunden später sichtbar: „Wir haben mit unseren Berechnungen ziemlich dicht an den tatsächlichen Verhältnissen gelegen“, stellte Oltmann beim Blick auf die ersten Bilder von dem beschädigten Rumpf fest. In den nächsten Monaten werden die sichtbaren Schäden hinter Auftriebskörpern verschwinden, die nun auch an der Steuerbordseite des Wracks angebracht werden sollen. Im kommenden Frühjahr sollen die Tanks leergepumpt und die Costa Concordia dadurch gehoben werden.
Autor: WOLFGANG HEUMER